Männlichkeit heute – So überwinden Sie Ihre »Daddy Issues«
Der Schlüssel zum Verständnis und Umgang mit Vaterkonflikten
Egal, in welcher Form sie da – oder gerade nicht – da waren: unsere Väter prägen uns. Und zwar nicht nur als Kinder und Jugendliche, sondern bis ins hohe Alter. Doch warum werden „Daddy Issues“ in den meisten Fällen als rein weibliches Problem betrachtet? Wir sind den vielen Problemen, die gerade auch Männer mit ihren Vätern haben können, auf den Grund gegangen.
Von „Vaterkomplexen“ und Schuldgefühlen
Vater werden ist nicht schwer, Vater sein dagegen sehr – auch, wenn dieser Spruch ziemlich altbacken ist und irgendwie schwer an die 1950er Jahre erinnert, ist doch etwas Wahres dran.
Denn ein guter Vater zu sein, bedeutet sehr viel Arbeit.
Vor allem an sich selbst, denn die meisten Männer müssen erst viele ungesunde Glaubenssätze in Bezug auf Maskulinität abbauen, um in ihren Beziehungen wirklich eine bereichernde Rolle einnehmen zu können.
Dies gilt vor allem auch für die Beziehung zu ihren Kindern, denn diese spiegelt die Beziehung zum eigenen Vater häufig wider.1Emerging from the Daddy Issue: A Phenomenological Study of the Impact of the Lived Experiences of Men Who Experienced Fatherlessness on Their Approach to Fathering Sons researchdiscovery.drexel.edu
Der Begriff gilt mittlerweile als umstritten, wird dennoch häufig in der Popkultur verwendet und kann eher als Bindungstrauma verstanden werden, das sowohl weibliche als auch männliche oder non-binäre Kinder betreffen kann.
Sigmund Freud war der Erste, der diesem Phänomen einen Namen gegeben hat, eben »Vaterkomplex«.
Es beschreibt, wie die Beziehung eines Jungen zu seinem Vater seine späteren Beziehungen beeinflusst.2Eine archetypische Beziehung deutschlandfunkkultur.de
Und obwohl es oft nicht so gesehen wird, haben auch Männer Probleme damit, besonders wenn ihr Vater emotional nicht da war.
Jeder, der mit einem solchen Vater oder einem anderen wichtigen Mann in seinem Leben aufgewachsen ist, kann Probleme bekommen, die man Daddy Issues nennt.
Denn gibt es eine Vielzahl von Fehlern, die Väter in der Beziehung zu ihrem Nachwuchs begehen können.3UNDERSTANDING UNHEALTHY RELATIONSHIP PATTERNS IN YOUR FAMILY illinois.edu
Emotionale Distanz
Viele Väter sind zwar körperlich anwesend, emotional jedoch nicht für ihre Kinder erreichbar.
Die Kinder lernen, dass Gefühle tabu sind und man diese am besten gar nicht erst thematisieren sollte.
Dauerhafte Überhöhung
Selbstverständlich gibt es auch Väter, die ihren Kindern ein wenig zu viel des Guten mitgeben möchten.
Ständiges, übertriebenes Lob und Belohnungen sorgen dafür, dass Kinder als Erwachsene unrealistische Beziehungsidee verfolgen und jedes Mal enttäuscht werden.
Missbrauch und Gewalt
Dass Missbrauch – egal welcher Art – in keiner Beziehung und zu keinem Zeitpunkt etwas zu suchen hat, sollte klar sein.
Findet er dennoch statt, kann dies zu schweren Folgen für das spätere Leben führen: Schließlich glauben Kinder, Schuld an der Reaktion der Eltern zu sein und leiten die berechtigte Wut, die eigentlich den Verursachern des Missbrauchs gewidmet sein sollte, auf sich selbst um.
In den meisten Fällen folgt darauf Selbsthass, der sich später in selbst sabotierenden Verhalten und einem stark verminderten Selbstwertgefühl bemerkbar machen kann.
Beide Aspekte können im schlimmsten Fall zu Depressionen, Süchten und sogar zum Suizid führen.
Kinder, die Opfer von Missbrauch werden, neigen dazu, sich selbst für das Erlebte verantwortlich zu machen.
Erfahrungen wie Vernachlässigung oder sexuelle Übergriffe in jungen Jahren können Gefühle von Beschämung hervorrufen.
Zudem besteht dadurch eine höhere Wahrscheinlichkeit, dass sie an Depressionen oder posttraumatischen Belastungssymptomen leiden, wie eine Studie, veröffentlicht im Journal of Child Sexual Abuse, zeigt.4Coping, Emotion Regulation, and Self-Blame as Mediators of Sexual Abuse and Psychological Symptoms in Adult Sexual Assault tandfonline.com
Das Phänomen der Vaterkomplexe könnte seinen Anfang bei Sigmund Freud und seiner Idee des Ödipuskomplexes5Dorsch Lexikon der Psychologie – Ödipuskomplex dorsch.hogrefe.com gefunden haben. Laut dieser Theorie entwickelt ein Kind eine intensive Verbindung zu einem Elternteil des gegensätzlichen Geschlechts und empfindet Rivalitätsgefühle gegenüber dem Elternteil des gleichen Geschlechts.
Freud beobachtete diese Dynamik speziell bei Jungen in Bezug auf ihre Mütter.
Später führte Carl Jung das Prinzip des Elektra-Komplexes6Online Lexikon für Psychologie & Pädagogik lexikon.stangl.eu ein, welches eine ähnliche Beziehungsdynamik zwischen einer Tochter und ihrem Vater beschreibt. Auch wenn viele Fachleute heute nicht mehr strikt an diese Modelle glauben, bieten sie Einblicke, wie kulturelle Ansichten zu Vaterthemen entstanden sein könnten.
Eine neuere Erklärung aus der Psychologie ist John Bowlbys Bindungstheorie7Bindungstheorie: John Bowlby und Mary Ainsworth intrapsychisch.de, welche postuliert, dass unsere ersten Verbindungen zu primären Bezugspersonen unsere Beziehungen im späteren Leben beeinflussen.
Ein Vater, der nicht regelmäßig auf die Bedürfnisse seines Kindes einging, könnte zur Entwicklung von unsicheren Bindungsmustern beitragen, im Unterschied zu stabilen Bindungen.
Vertauschte Rollen
Sind Väter beispielsweise körperlich oder seelisch in gewisser Weise abhängig von ihren Kindern, da sie an physischen oder psychischen Erkrankungen leiden, kann dies später schwere Folgen haben.
Als Erwachsene weisen viele dieser Kinder einen Helferkomplex auf und können diesen auch in Ihren Beziehungen nicht ruhen lassen – sie müssen stets gebraucht werden und suchen Ihre Partnerinnen oder Partner auf dieser Basis aus.
Kontrollierende oder ängstliche Väter
Kinder merken schnell, wenn Erwachsene Angst haben, sodass sich die vom Vater ausgestrahlten Ängste selbst auf kleine Kinder übertragen können.
Sind Väter zu streng und kontrollierend, kann dies das Autonomiebewusstsein von Sohn oder Tochter untergraben und später zu großen Unsicherheiten oder einem sehr starken Abgrenzungsbedürfnis führen.
„Übergroße“ Väter
Nein, damit sind nicht etwas Väter über 1,90 m gemeint, sondern Väter, die so viel erreichen und schaffen, dass sich die Söhne neben ihnen eher klein fühlen und in ihrem Schatten stehen – dies zum Teil ein Leben lang.
Abwesende Väter
Viele Kinder wachsen komplett ohne Vater auf.
In einigen Fällen ist der Vater beispielsweise früh verstorben, in anderen Situationen hat er die Familie verlassen oder der Kontakt ist anderweitig abgebrochen.
Dies kann für viele Jungen eine psychische Herausforderung darstellen, da das direkte männliche Vorbild fehlt.8“Holes in my Memories”: A Qualitative Study of Men Affected by Father Absence tandfonline.com
Beide Elternteile sind wesentlich für die Entwicklung eines Kindes.
Mütter bieten häufig ein Gefühl von Sicherheit und Nähe, während Väter oft Spielgefährten sind und als Orientierungspunkte fungieren.
Fehlt die Unterstützung von einem der beiden, kann dies zu einem Gefühl der Unsicherheit und Verunsicherung – oder schlimmerem – führen.
Laut der Webseite WebMD ist die Wahrscheinlichkeit in den USA, Selbstmord zu begehen, bei Jungen mit abwesenden Vätern mehr als doppelt so hoch.9Suicide Warning Signs: What to Watch for and Do webmd.com
Viele von uns haben ihren Eltern verziehen und heute ein akzeptables Verhältnis zu den Menschen, die uns in diese Welt gebracht haben.
Dennoch gibt es Symptome, die die Ursache in der schwierigen Beziehung zum Vater haben.
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Übergroße Anhänglichkeit
Ein Verhaltensmuster, das sich durch eine schwierige Beziehung zum Vater bemerkbar machen kann, ist zu große Anhänglichkeit, da Menschen, die von einem Vaterkomplex betroffen sind, häufig Angst haben, verlassen zu werden.
Zum Teil kann sich dies auch in kontrollierendem und besitzergreifendem Verhalten zeigen.
Bestätigungsdrang
Haben auch Sie von Ihrem Vater nie den bestätigenden Schulterklopfer bekommen?
Ein weiteres Merkmal für einen Vaterkomplex kann auch ein großer Bestätigungsdrang sein.
Dabei können sich die Unsicherheiten auf alle Lebensbereiche ausweiten.
Sexuelle Überkompensation
In diesem Zusammenhang dient Sex als Kompensation für das eigene, mangelnde Selbstwertgefühl.10Absent fathers and sexual strategies bps.org.uk
Betroffene verbiegen sich dabei buchstäblich, um ihren Sexpartnern zu gefallen und setzen Sex und Liebe auf die gleiche Stufe.
Schwierige Partnerwahl
Generell gehen Männer, die eine schwierige Beziehung zu ihrem Vater hatten, häufiger ungesunde Beziehungen ein als Männer, die in dieser Hinsicht mehr Glück hatten.
Toxische Beziehungen entwickeln oft eine komplizierte Eigendynamik, die in vielen Fällen nicht nur von psychischem, sondern auch körperlichem Missbrauch geprägt sein kann.
Was tun bei „Daddy Issues“?
Eines vorweg: Probleme mit dem Vater sind – auch für Männer – selten der alleinige Grund für Herausforderungen im späteren Leben.
Auch die Beziehung zur Mutter oder anderen Bezugspersonen können die psychische Gesundheit prägen.
Zum Beispiel ist es möglich, unsichere Bindungsmuster zu bewältigen, indem man Erfahrungen aus der Kindheit, besonders in Bezug auf Probleme mit dem Vater, verarbeitet und Strategien entwickelt, um mit Unsicherheit umzugehen.
Ein kompetenter Therapeut kann Unterstützung bieten für diejenigen, die damit Schwierigkeiten erleben.
Generell kann eine Therapie dabei helfen, schädliche Muster aufzuarbeiten und durch gesündere Varianten zu ersetzen.
Einigen Männern bringt es außerdem viel inneren Frieden, als Erwachsene das Gespräch mit ihrem Vater zu suchen und vielleicht sogar ein gutes Verhältnis zu ihm aufzubauen – sofern dies überhaupt möglich ist.
Was würden Sie IHREM Vater gerne noch sagen, wenn Sie könnten?
Quellen
- 1
- 2Eine archetypische Beziehung deutschlandfunkkultur.de
- 3
- 4
- 5Dorsch Lexikon der Psychologie – Ödipuskomplex dorsch.hogrefe.com
- 6Online Lexikon für Psychologie & Pädagogik lexikon.stangl.eu
- 7Bindungstheorie: John Bowlby und Mary Ainsworth intrapsychisch.de
- 8
- 9
- 10Absent fathers and sexual strategies bps.org.uk